Werkstatt
Essay
Die hölzerne Hand

Die hölzerne Hand - Gedanken zur Architektur von Juan Navarro Baldeweg

Ein Fenster, sehr schön proportioniert mit feinen Metallprofilen, die feinen Blätter eines Baumes in der spanischen Sonne, viel Papier auf dem Tisch und im Regal eine hölzerne Hand, oder besser ein Vierzack, entfernt erinnernd an eine hölzerne Hand der, mächtig und rissig  aus einem Baumstamm gesägt ist. Wir sitzen in Madrid in Juan Navarro Baldewegs Arbeitszimmer im zweiten Geschoss eines Wohnhauses der klassischen Moderne. Während des ganzen Nachmittags hatte ich Blick auf seinen Schreibtisch. Dort steht, auf einem Regal, dieses wundersam bearbeitete Stück Holz unter vielen anderen Prototypen und Skulpturen.

Als ich ihn danach frage, zeigt Juan uns Kataloge seiner Skulpturen. Einfache geometrische Formen aus Holz und Metall, manche in einer physikalisch unmöglich scheinenden, unerwarteten Balance zueinander. Wenn wir einen Reif aus Metall sehen, setzen wir voraus, dass der Reifen rundherum gleich schwer sei. Hier hängt er aber nicht an seiner Mitte: das Gesehene entspricht nicht der Erwartung. Mit diesem Moment der Irritation zeigt er auf, dass in der Wahrnehmung  die Vorstellung von Realität und die Realität nicht voneinander zu trennen sind. Im Alltag wird uns diese Verknüpfung nur selten bewusst, aber auch unser Esszimmer betrachten wir nicht neu, wenn wir nach Hause kommen, sondern stellen uns den Raum vor, so wie wir ihn kennen, oder zumindest vermeintlich kennen.

Das Bewusstsein um diese Ergänzungsleistung des Gehirns, die Imagination, ist wesentlicher Bestandteil von Juan’s Arbeiten. In seinem Architekturverständnis findet der entscheidende Effekt in der Raumrezeption statt, nicht im Raum selbst. Wie stark unsere Wahrnehmung dabei durch den Kontext geprägt ist, erläutert er gerne am Beispiel des Urinoirs von Duchamp, einem Objekt, das im Kontext des Museums eine neue Bedeutung erlangte. Er betont jedoch gleichzeitig, dass dieses Phänomen keine Erfindung des 20.Jahrhunderts sei. Im Gegenteil: es sei in der Architekturgeschichte regelmässig vorgekommen, dass bereits bekannte Bauteile wieder neue Bedeutungen erlangten, etwa bei der Wiederverwendung von korinthisch-römischen Säulenfragmenten für den Bau von Byzantinischen Kirchen, die schliesslich von den Christen bewohnt wurden.

Material und Form erlangen für Juan ihre Bedeutung erst aus dem Zusammenhang, in den sie gesetzt werden. Eine vorgehängte Natursteinfassade ist a priori weder richtig noch falsch in der Architektur, die Symmetrie, ein Tabu der klassischen Moderne, ist für ihn so gültig als Stilmittel wie die Asymmetrie. In unseren Diskussionen hört er manchmal nur zu, verhält sich still und nimmt auf. Ich stelle mir dann vor, dass er jetzt die technischen Lösungen, die wir diskutieren vor seinem inneren Auge gegen die Imagination, seine Vorstellung vom Gebäude prüft: Kann sie noch Realität werden und wird sie schliesslich die Kraft haben, den Besucher zu überzeugen? Stildiskussionen oder Gespräche um konstruktive Wahrheit verärgern ihn manchmal sogar. In einem Interview aus dem Jahr 2013 erläutert er zur Frage, ob ein Mensch sich wohler fühlen könne in einem mittelalterlichen oder einem modernen Haus:

„In that sense I am completely nihilist.  I mean I don’t think there is one thing better than the other  as long as you allude to or connect with the things that are more essential or that are, as we said, antecedent.“ (1)

Juan Navarro Baldeweg verfolgt als Maler, Bildhauer und Architekt Ziele, die hinter der dinglichen Welt liegen, dort, wo die aesthetische Raumerfahrung begründet ist. Er will nicht nur, dass die Menschen ihr eigenes Esszimmer wiedererkennen, sondern dass sie etwas Grösseres finden, etwas, das ihr Inneres, ihre eigene Imagination mit dieser Welt verbindet. Um ihn mit seinen eigenen Worten sprechen zu lassen:

...“And every type of art has something in common in it’s strive, which ist o create a signal,  even if it’s only a moment in the continuity -for lack of a better term- of your mind,  of your reflection when you feel your ties to the rest of the world, the world as a whole. These minimum states of ecstasy, the sensation of being both, in and out, is to me, the principal purpose of art.“ (2)

An dieser Stelle soll jedoch kein Missverständnis aufkommen: Die physikalische Realität ist wichtig für Juan. Seine Skulpturen sind aus blankem Holz und Metall gefertigt, wir sprechen in den Jahren der Zusammenarbeit viel über Materialien, über die Art und Weise wie der Marmor, das Licht an den Kanten einfängt, über Proportionen und Fugenbreiten. Die technischen Möglichkeiten der Materialien sind ihm geläufig und ihre Wirkung im Licht essentiell. Hell eloxiertes Aluminium und Marmor zum Beispiel, ergänzen sich in der Art, wie das eine Licht reflektiert und das andere Licht speichert, gleichsam aufsaugt, in seiner Vorstellung ideal.

In wenigen Tagen wird das neue Group Headquarters Gebäude der Novartis eingeweiht. Die Räume werden von den Personen, die wir bisher sprechen konnten, positiv aufgenommen. Die Nutzer mögen die Persönlichkeit und die Ausstrahlung des Neubaus, sie können sich wiederfinden an diesem Ort, er ist ihnen von Anfang an vertraut. Als Architekt beschäftigt mich vor allem eine einfache, fast archaische Kraft, die wie ein Basston der Komposition zu Grunde liegt. Sie ist in der Struktur des Gebäudes begründet: Das Deckentragwerk wurde nicht, wie sonst im Bürobau üblich, mit Flachdecken, sondern in einer Rippenkonstruktion ausgeführt. Die haustechnischen Systeme wurden so integriert, dass der Rippenbetonbau sichtbar bleibt, das Gebäude in seiner Grundstruktur also lesbar ist. Als im sogenannten „Value Engineering“ alle Bauteile auf ihre Kosteneffizienz hinterfragt wurden, machte Juan einen Punkt sehr deutlich: Bei den Rippendecken geht es um die Seele des Gebäudes. Lieber hätte er kein Haus gemacht für die Novartis, als auf die Rippendecke verzichtet.

In der statischen Struktur des Gebäudes hat Juan die Grundlage gelegt für alle seine nachfolgenden Entscheidungen und hier liegt –nach meiner Lesart- das Geheimnis für seine die Kraft. So wie er damals entschied, die hölzerne Hand aus einem einzigen Baumstamm herauszusägen. Eine Skulptur, die auch heute noch rissig und kraftvoll in seinem Arbeitszimmer steht.

Daniel Wentzlaff, Juni 2014

 

Nissen Wentzlaff Architekten waren Generalplaner und „Local Architect“ für den Neubau Fabrikstrasse 18

(1, (2) Die Zitate sind Abschriften aus dem Interview: „Arquitectura N°367 Face to Face: Juan Navarro Baldeweg – David Bestue. Videoaufzeichnung der Unterhaltung von Juan Navarro Baldeweg mit Davis Bestué am 7.November 2013. Erschienen in der Reihe „Face to Face der digitalen Ausgabe der Zeitschrift „Arquitectura“ des COAM (Colegio Oficial de Arquitectos de Madrid). Gedreht im Studio von Juan Navarro Baldeweg in Madrid.

Die hölzerne Hand - Gedanken zur Architektur von Juan Navarro Baldeweg

Ein Fenster, sehr schön proportioniert mit feinen Metallprofilen, die feinen Blätter eines Baumes in der spanischen Sonne, viel Papier auf dem Tisch und im Regal eine hölzerne Hand, oder besser ein Vierzack, entfernt erinnernd an eine hölzerne Hand der, mächtig und rissig  aus einem Baumstamm gesägt ist. Wir sitzen in Madrid in Juan Navarro Baldewegs Arbeitszimmer im zweiten Geschoss eines Wohnhauses der klassischen Moderne. Während des ganzen Nachmittags hatte ich Blick auf seinen Schreibtisch. Dort steht, auf einem Regal, dieses wundersam bearbeitete Stück Holz unter vielen anderen Prototypen und Skulpturen.

Als ich ihn danach frage, zeigt Juan uns Kataloge seiner Skulpturen. Einfache geometrische Formen aus Holz und Metall, manche in einer physikalisch unmöglich scheinenden, unerwarteten Balance zueinander. Wenn wir einen Reif aus Metall sehen, setzen wir voraus, dass der Reifen rundherum gleich schwer sei. Hier hängt er aber nicht an seiner Mitte: das Gesehene entspricht nicht der Erwartung. Mit diesem Moment der Irritation zeigt er auf, dass in der Wahrnehmung  die Vorstellung von Realität und die Realität nicht voneinander zu trennen sind. Im Alltag wird uns diese Verknüpfung nur selten bewusst, aber auch unser Esszimmer betrachten wir nicht neu, wenn wir nach Hause kommen, sondern stellen uns den Raum vor, so wie wir ihn kennen, oder zumindest vermeintlich kennen.

Das Bewusstsein um diese Ergänzungsleistung des Gehirns, die Imagination, ist wesentlicher Bestandteil von Juan’s Arbeiten. In seinem Architekturverständnis findet der entscheidende Effekt in der Raumrezeption statt, nicht im Raum selbst. Wie stark unsere Wahrnehmung dabei durch den Kontext geprägt ist, erläutert er gerne am Beispiel des Urinoirs von Duchamp, einem Objekt, das im Kontext des Museums eine neue Bedeutung erlangte. Er betont jedoch gleichzeitig, dass dieses Phänomen keine Erfindung des 20.Jahrhunderts sei. Im Gegenteil: es sei in der Architekturgeschichte regelmässig vorgekommen, dass bereits bekannte Bauteile wieder neue Bedeutungen erlangten, etwa bei der Wiederverwendung von korinthisch-römischen Säulenfragmenten für den Bau von Byzantinischen Kirchen, die schliesslich von den Christen bewohnt wurden.

Material und Form erlangen für Juan ihre Bedeutung erst aus dem Zusammenhang, in den sie gesetzt werden. Eine vorgehängte Natursteinfassade ist a priori weder richtig noch falsch in der Architektur, die Symmetrie, ein Tabu der klassischen Moderne, ist für ihn so gültig als Stilmittel wie die Asymmetrie. In unseren Diskussionen hört er manchmal nur zu, verhält sich still und nimmt auf. Ich stelle mir dann vor, dass er jetzt die technischen Lösungen, die wir diskutieren vor seinem inneren Auge gegen die Imagination, seine Vorstellung vom Gebäude prüft: Kann sie noch Realität werden und wird sie schliesslich die Kraft haben, den Besucher zu überzeugen? Stildiskussionen oder Gespräche um konstruktive Wahrheit verärgern ihn manchmal sogar. In einem Interview aus dem Jahr 2013 erläutert er zur Frage, ob ein Mensch sich wohler fühlen könne in einem mittelalterlichen oder einem modernen Haus:

„In that sense I am completely nihilist.  I mean I don’t think there is one thing better than the other  as long as you allude to or connect with the things that are more essential or that are, as we said, antecedent.“ (1)

Juan Navarro Baldeweg verfolgt als Maler, Bildhauer und Architekt Ziele, die hinter der dinglichen Welt liegen, dort, wo die aesthetische Raumerfahrung begründet ist. Er will nicht nur, dass die Menschen ihr eigenes Esszimmer wiedererkennen, sondern dass sie etwas Grösseres finden, etwas, das ihr Inneres, ihre eigene Imagination mit dieser Welt verbindet. Um ihn mit seinen eigenen Worten sprechen zu lassen:

...“And every type of art has something in common in it’s strive, which ist o create a signal,  even if it’s only a moment in the continuity -for lack of a better term- of your mind,  of your reflection when you feel your ties to the rest of the world, the world as a whole. These minimum states of ecstasy, the sensation of being both, in and out, is to me, the principal purpose of art.“ (2)

An dieser Stelle soll jedoch kein Missverständnis aufkommen: Die physikalische Realität ist wichtig für Juan. Seine Skulpturen sind aus blankem Holz und Metall gefertigt, wir sprechen in den Jahren der Zusammenarbeit viel über Materialien, über die Art und Weise wie der Marmor, das Licht an den Kanten einfängt, über Proportionen und Fugenbreiten. Die technischen Möglichkeiten der Materialien sind ihm geläufig und ihre Wirkung im Licht essentiell. Hell eloxiertes Aluminium und Marmor zum Beispiel, ergänzen sich in der Art, wie das eine Licht reflektiert und das andere Licht speichert, gleichsam aufsaugt, in seiner Vorstellung ideal.

In wenigen Tagen wird das neue Group Headquarters Gebäude der Novartis eingeweiht. Die Räume werden von den Personen, die wir bisher sprechen konnten, positiv aufgenommen. Die Nutzer mögen die Persönlichkeit und die Ausstrahlung des Neubaus, sie können sich wiederfinden an diesem Ort, er ist ihnen von Anfang an vertraut. Als Architekt beschäftigt mich vor allem eine einfache, fast archaische Kraft, die wie ein Basston der Komposition zu Grunde liegt. Sie ist in der Struktur des Gebäudes begründet: Das Deckentragwerk wurde nicht, wie sonst im Bürobau üblich, mit Flachdecken, sondern in einer Rippenkonstruktion ausgeführt. Die haustechnischen Systeme wurden so integriert, dass der Rippenbetonbau sichtbar bleibt, das Gebäude in seiner Grundstruktur also lesbar ist. Als im sogenannten „Value Engineering“ alle Bauteile auf ihre Kosteneffizienz hinterfragt wurden, machte Juan einen Punkt sehr deutlich: Bei den Rippendecken geht es um die Seele des Gebäudes. Lieber hätte er kein Haus gemacht für die Novartis, als auf die Rippendecke verzichtet.

In der statischen Struktur des Gebäudes hat Juan die Grundlage gelegt für alle seine nachfolgenden Entscheidungen und hier liegt –nach meiner Lesart- das Geheimnis für seine die Kraft. So wie er damals entschied, die hölzerne Hand aus einem einzigen Baumstamm herauszusägen. Eine Skulptur, die auch heute noch rissig und kraftvoll in seinem Arbeitszimmer steht.

Daniel Wentzlaff, Juni 2014

 

Nissen Wentzlaff Architekten waren Generalplaner und „Local Architect“ für den Neubau Fabrikstrasse 18

(1, (2) Die Zitate sind Abschriften aus dem Interview: „Arquitectura N°367 Face to Face: Juan Navarro Baldeweg – David Bestue. Videoaufzeichnung der Unterhaltung von Juan Navarro Baldeweg mit Davis Bestué am 7.November 2013. Erschienen in der Reihe „Face to Face der digitalen Ausgabe der Zeitschrift „Arquitectura“ des COAM (Colegio Oficial de Arquitectos de Madrid). Gedreht im Studio von Juan Navarro Baldeweg in Madrid.

Die hölzerne Hand    1/1