Werkstatt
Essay
Siza zeichnet

Siza zeichnet

Alvaro Siza zeichnet, Zigarette im Mundwinkel, langsam eine Linie auf den Rand eines Plans, während er einem aufgeregten Ingenieur zuhört. Wir sind acht Personen am Tisch, die Atmosphäre ist angespannt. Es geht um weissen Marmor und seine Eignung für das Schweizer Klima. Novartis hat extra eine Steinexpertin nach Porto eingeflogen, um Alvaro Siza zu überzeugen. Er beharrt, argumentiert ....und zeichnet eben diese Linie.
Die Linie wird zum Profil einer Frau. Durch den Rauch seiner Zigarette blinzelnd, mustert er dabei die Frau eines Bauunternehmers am anderen Tischende. Aber der Strich, präzise mit Augen und Kinn begonnen, verliert sich weitläufig im Weiss des Blattes. Siza wird ans Telefon gerufen. Später in der Diskussion, als er wieder an seinem Platz sitzt, zieht er die Linie langsam weiter: In einem Zug entsteht die Schulter, der angewinkelte Arm und der vorgebeugte Oberkörper der Frau.
Als alle das Zimmer verlassen hatten, lag der Fassadenplan noch auf dem Tisch. Auf  dem Blattrand ein Frauentorso, gezeichnet mit einem billigen Kugelschreiber. Ich glaube, das war der Moment, als ich mich seine Zeichnungen zum ersten Mal berührt haben.
Siza zeichnet viel, eigentlich fast immer, wenn er ein Problem lösen muss. Ernsthaft und ohne Eitelkeit, entstehen seine Skizzen langsam und bedächtig. Meistens hat er kein Papier bei sich und muss sich den Stift leihen. Oft meint man zu wissen, worauf er hinaus will - bis die Linie ihren eigenen Weg geht.
Bei unseren Treffen im kleinen Kreis geht es um all die Fragen, die ein Hausbau aufwirft: Eckdetails, Materialien, den Umgang mit technischen Auflagen. Linie um Linie zeichnet er ruhig eine Isometrie der oberen Fassadenecke. Er will verstehen, wie die acht Metallprofile gefügt werden. Wir fragen uns, warum er so viel Zeit an diesem Detail verbringt. In wenigen Stunden geht unser Flugzeug und wir haben noch andere, wichtigere Themen zu besprechen. Doch nachdem die Lösung da ist, entscheiden sich weitere Fragen zwanglos und schnell. Manchmal ist es, als müsste er erst wieder einen Zugang zu seinem Gebäude finden, sich erinnern, wo wir das letzte Mal stehen geblieben waren, verstehen wie die Dinge gefügt werden, wie ihre Proportionen sein müssen, um dann die Geschichte des Hauses weiterzuerzählen.

Zwei Aspekte scheinen mir wesentlich für die Rolle von Alvaros Sizas  Skizzen in seiner Arbeit. Erstens müsste man Alvaro Siza eigentlich kennen und bei der Arbeit sehen. Das leise Auftreten, sein Terminkalender: das alte Schulheft in einer Plastiktüte, die stille Ernsthaftigkeit bei der Arbeit und vor allem das Schauen. Er bleibt oft stehen und schaut einfach. Laute Gesten, Allüren oder Show sind diesem weltberühmten Architekten fremd. Die Anliegen des Bauherren, die technischen Gegebenheiten werden ernst genommen und gezeichnet, gedreht, gewendet, bis sie Sinn machen. So sind auch seine Skizzen, nur Linien, fast flüchtig, ohne vordergründige Eitelkeit .
Zweitens widerspiegeln seine Zeichnungen seine grosse Liebe fürs Detail.  

Als Beispiel soll hier der Eingang angeführt werden: Die Lage des Grundstücks auf dem Campus ist nicht einfach. Der wichtigste Freiraum in näherer Umgebung , die „Physics Gardens“ berühren das Gebäude nur an seiner Nord-West Ecke, ansonsten ist das Gebäude von Nebenstrassen umgeben. Siza entschied, den Eingang an diese Ecke zu legen und nicht, wie die anderen Architekten auf dem Campus, in die Gebäudeachse. Die Glasfront des Windfangs ist gekrümmt, man betritt das Gebäude nicht wie man erwarten würde, geradlinig, sondern in einer S-fürmigen Bewegung. Der Eingang verdoppelt sich in der verspiegelten Decke,  die Stütze des allgegenwärtigen Rasters ist im Eingang um 45° gedreht, das Fugenbild der Steinverkleidung macht eine Ausnahme am Stützenkopf. Jedes Metallprofil, jede Fuge im Stein sind aufeinander abgestimmt, jedes Element spezifisch für diesen Ort gezeichnet.  Hier, im Detail, liegt der Ursprung für die Verzauberung des Einfachen zum Besonderen, die Alvaro Siza  in seinem Werk so häufig gelingt. Welcher Architekt kann aus dem Stand etwas Schönes aufzeichnen, ohne dafür viele Erklärungen abzugeben? Rationalisierte und einfach erläuterbare Entwurfskonzepte sind heute der Alltag. Ihre Visualisierung wird bei Spezialisten bauftragt, die Realisierung kann an grosse Teams weitergegeben werden. Man kann sogar, wenn man will, die Person des Verfassers hinter Konzepten verbergen.

Eben weil Alvaro Siza sich mit ein paar wenige Linien präzise ausdrücken kann, braucht er diese Form der Erläuterungen nicht im gleichen Masse. Zwei parallele Bauten beispielsweise wären für ihn nie einfach nur zwei parallele Bauten. Irgendwann knickt einer der beiden weg, öffnet sich, entwickelt seine eigene, für Alvaro Siza typische Eigenart. Das rational fassbare Konzept ist vielleicht Ausgangspunkt, aber nie Inhalt seiner Gebäude.
Unterstrichen hat dieses Phänomen erst kürzlich Eduardo Souto de Moura, sein Freund, engster Kollege und ehemaliger Schüler. Beide durften nebeneinander auf dem Campus je ein Gebäude realisieren und haben sich in freundschaftlicher Art während der Realisierung häufig gegenseitig mit spitzer Kritik geneckt. Eduardo stand einmal –auch rauchend- vor Siza’s fertiggestelltem Gebäude und meinte nach langem Schweigen anerkennend: Ich habe das stärkere Konzept, aber er hat eben auf seine Art doch Recht behalten.

Nein, wir haben den Plan mit dem Frauentorso nicht aufgehoben. Leider. Wir haben aus Respekt gar keine Skizzen gesammelt. Sie sind alle bei ihm verblieben. Sogar der kleine Akt auf der Holzverkleidung des Bauliftes wurde versehentlich entsorgt. (Alvaro Siza hatte einmal während der Liftfahrt in einem Linienzug den nackten Körper einer schönen Frau neben die obszönen Schmierereien der Handwerker auf die Bretterwand gesetzt.)
Bezeichnend ist auch, dass wir, als wir nach Illustrationen für dieses Buch fragten nur wenige und vor allem wenig aussagkräftige Beispiele erhielten. Was unter Architekten sonst gang und gebe ist, die schmissige Entwurfsskizze, die nachträglich mit Transparentpapier auf  Basis einer verkleinerten Plangrundlage erstellt wird, kennt er nicht. Was damals als Nebenprodukt der Arbeit entstand ist da, mehr nicht. Aber auch nicht weniger.
Wir haben uns deshalb entschlossen, auf die bebilderte Beweisführung zu verzichten und stellvertretend für all die vielen, entstandenen Zeichnungen nur eine frühe Skizze des Gebäudes als Ganzes abzubilden.

Daniel Wentzlaff, Februar 2012

Siza zeichnet

Alvaro Siza zeichnet, Zigarette im Mundwinkel, langsam eine Linie auf den Rand eines Plans, während er einem aufgeregten Ingenieur zuhört. Wir sind acht Personen am Tisch, die Atmosphäre ist angespannt. Es geht um weissen Marmor und seine Eignung für das Schweizer Klima. Novartis hat extra eine Steinexpertin nach Porto eingeflogen, um Alvaro Siza zu überzeugen. Er beharrt, argumentiert ....und zeichnet eben diese Linie.
Die Linie wird zum Profil einer Frau. Durch den Rauch seiner Zigarette blinzelnd, mustert er dabei die Frau eines Bauunternehmers am anderen Tischende. Aber der Strich, präzise mit Augen und Kinn begonnen, verliert sich weitläufig im Weiss des Blattes. Siza wird ans Telefon gerufen. Später in der Diskussion, als er wieder an seinem Platz sitzt, zieht er die Linie langsam weiter: In einem Zug entsteht die Schulter, der angewinkelte Arm und der vorgebeugte Oberkörper der Frau.
Als alle das Zimmer verlassen hatten, lag der Fassadenplan noch auf dem Tisch. Auf  dem Blattrand ein Frauentorso, gezeichnet mit einem billigen Kugelschreiber. Ich glaube, das war der Moment, als ich mich seine Zeichnungen zum ersten Mal berührt haben.
Siza zeichnet viel, eigentlich fast immer, wenn er ein Problem lösen muss. Ernsthaft und ohne Eitelkeit, entstehen seine Skizzen langsam und bedächtig. Meistens hat er kein Papier bei sich und muss sich den Stift leihen. Oft meint man zu wissen, worauf er hinaus will - bis die Linie ihren eigenen Weg geht.
Bei unseren Treffen im kleinen Kreis geht es um all die Fragen, die ein Hausbau aufwirft: Eckdetails, Materialien, den Umgang mit technischen Auflagen. Linie um Linie zeichnet er ruhig eine Isometrie der oberen Fassadenecke. Er will verstehen, wie die acht Metallprofile gefügt werden. Wir fragen uns, warum er so viel Zeit an diesem Detail verbringt. In wenigen Stunden geht unser Flugzeug und wir haben noch andere, wichtigere Themen zu besprechen. Doch nachdem die Lösung da ist, entscheiden sich weitere Fragen zwanglos und schnell. Manchmal ist es, als müsste er erst wieder einen Zugang zu seinem Gebäude finden, sich erinnern, wo wir das letzte Mal stehen geblieben waren, verstehen wie die Dinge gefügt werden, wie ihre Proportionen sein müssen, um dann die Geschichte des Hauses weiterzuerzählen.

Zwei Aspekte scheinen mir wesentlich für die Rolle von Alvaros Sizas  Skizzen in seiner Arbeit. Erstens müsste man Alvaro Siza eigentlich kennen und bei der Arbeit sehen. Das leise Auftreten, sein Terminkalender: das alte Schulheft in einer Plastiktüte, die stille Ernsthaftigkeit bei der Arbeit und vor allem das Schauen. Er bleibt oft stehen und schaut einfach. Laute Gesten, Allüren oder Show sind diesem weltberühmten Architekten fremd. Die Anliegen des Bauherren, die technischen Gegebenheiten werden ernst genommen und gezeichnet, gedreht, gewendet, bis sie Sinn machen. So sind auch seine Skizzen, nur Linien, fast flüchtig, ohne vordergründige Eitelkeit .
Zweitens widerspiegeln seine Zeichnungen seine grosse Liebe fürs Detail.  

Als Beispiel soll hier der Eingang angeführt werden: Die Lage des Grundstücks auf dem Campus ist nicht einfach. Der wichtigste Freiraum in näherer Umgebung , die „Physics Gardens“ berühren das Gebäude nur an seiner Nord-West Ecke, ansonsten ist das Gebäude von Nebenstrassen umgeben. Siza entschied, den Eingang an diese Ecke zu legen und nicht, wie die anderen Architekten auf dem Campus, in die Gebäudeachse. Die Glasfront des Windfangs ist gekrümmt, man betritt das Gebäude nicht wie man erwarten würde, geradlinig, sondern in einer S-fürmigen Bewegung. Der Eingang verdoppelt sich in der verspiegelten Decke,  die Stütze des allgegenwärtigen Rasters ist im Eingang um 45° gedreht, das Fugenbild der Steinverkleidung macht eine Ausnahme am Stützenkopf. Jedes Metallprofil, jede Fuge im Stein sind aufeinander abgestimmt, jedes Element spezifisch für diesen Ort gezeichnet.  Hier, im Detail, liegt der Ursprung für die Verzauberung des Einfachen zum Besonderen, die Alvaro Siza  in seinem Werk so häufig gelingt. Welcher Architekt kann aus dem Stand etwas Schönes aufzeichnen, ohne dafür viele Erklärungen abzugeben? Rationalisierte und einfach erläuterbare Entwurfskonzepte sind heute der Alltag. Ihre Visualisierung wird bei Spezialisten bauftragt, die Realisierung kann an grosse Teams weitergegeben werden. Man kann sogar, wenn man will, die Person des Verfassers hinter Konzepten verbergen.

Eben weil Alvaro Siza sich mit ein paar wenige Linien präzise ausdrücken kann, braucht er diese Form der Erläuterungen nicht im gleichen Masse. Zwei parallele Bauten beispielsweise wären für ihn nie einfach nur zwei parallele Bauten. Irgendwann knickt einer der beiden weg, öffnet sich, entwickelt seine eigene, für Alvaro Siza typische Eigenart. Das rational fassbare Konzept ist vielleicht Ausgangspunkt, aber nie Inhalt seiner Gebäude.
Unterstrichen hat dieses Phänomen erst kürzlich Eduardo Souto de Moura, sein Freund, engster Kollege und ehemaliger Schüler. Beide durften nebeneinander auf dem Campus je ein Gebäude realisieren und haben sich in freundschaftlicher Art während der Realisierung häufig gegenseitig mit spitzer Kritik geneckt. Eduardo stand einmal –auch rauchend- vor Siza’s fertiggestelltem Gebäude und meinte nach langem Schweigen anerkennend: Ich habe das stärkere Konzept, aber er hat eben auf seine Art doch Recht behalten.

Nein, wir haben den Plan mit dem Frauentorso nicht aufgehoben. Leider. Wir haben aus Respekt gar keine Skizzen gesammelt. Sie sind alle bei ihm verblieben. Sogar der kleine Akt auf der Holzverkleidung des Bauliftes wurde versehentlich entsorgt. (Alvaro Siza hatte einmal während der Liftfahrt in einem Linienzug den nackten Körper einer schönen Frau neben die obszönen Schmierereien der Handwerker auf die Bretterwand gesetzt.)
Bezeichnend ist auch, dass wir, als wir nach Illustrationen für dieses Buch fragten nur wenige und vor allem wenig aussagkräftige Beispiele erhielten. Was unter Architekten sonst gang und gebe ist, die schmissige Entwurfsskizze, die nachträglich mit Transparentpapier auf  Basis einer verkleinerten Plangrundlage erstellt wird, kennt er nicht. Was damals als Nebenprodukt der Arbeit entstand ist da, mehr nicht. Aber auch nicht weniger.
Wir haben uns deshalb entschlossen, auf die bebilderte Beweisführung zu verzichten und stellvertretend für all die vielen, entstandenen Zeichnungen nur eine frühe Skizze des Gebäudes als Ganzes abzubilden.

Daniel Wentzlaff, Februar 2012

Siza zeichnet    1/1